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25.09.2022

Facebook-Kommentar von Heinz-Jürgen Krug

Hufeneisenbieger – Wahrheitsbieger

„Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?
fragte einst (1789 bei seiner Antrittsvorlesung in Jena) Friedrich Schiller. Um schlussendlich zur Antwort „Um wahre Unsterblichkeit bei dem Versuch zu erlangen, das Problem der Weltordnung aufzulösen und dem höchsten Geist in seiner schönsten Wirkung zu begegnen.“ zu kommen.

Im Folgenden zwei Beispiele für deutlich profanere professorale Versuche, historische Behauptungen zu unmittelbaren politischen Zwecken zu ge- bzw. missbrauchen

1. Zu „Weimars Ende“

Die neueste Ausgabe von ZEITGeschichte hat das Thema „Weimars Ende – Warum scheiterte Deutschlands erste Demokratie“.

Bereits im Editorial des Chefredakteurs Frank Werner die gängige Antwort: 1932 „… wurde der Reichstag selbst zur größten Bedrohung für die Republik, weil Nazis und Kommunisten die Mehrheit erlangten“.

Also eine Querfront der Extremisten von links und rechts, die sich gemäß „Hufeisen-Theorie“ ganz nahe kommen, während die politische „Mitte“ von beiden weit entfernt ist.

Warum aber wird von Herrn Werner nicht die Mehrheit von Nazis und Zentrumspartei + DVP + DNVP zur großen Gefahr erklärt? Die hatten 1932 zusammen bei den Juli-Wahlen 60% und bei den Novemberwahlen gut 58% der Stimmen.

Und was viel entscheidender war, sie lagen, was Demokratieabbau und -feindschaft betraf, nahe bei der NSDAP.

Und sie hatten ihre Bereitschaft, den Nazis einen Teil der Macht zu übertragen schon offen gezeigt. Bereits 1930 installierten die erwähnten Parteien als BEL (Bürgerliche Einheitsliste) im Freistaat Braunschweig eine Koalitionsregierung mit der NSDAP (die dann 1932 per Ernennung von Adolf Hitler als für Wirtschaftsförderung zuständigen Regierungsrat diesem zur deutschen Staatsbürgerschaft verhalf – ohne die er nicht Kanzler hätte werden können).

Auch in Thüringen kam die NSDAP bereits 1930 in die Landesregierung, hier in Koalition mit DVP, DNVP, Landbund und Wirtschaftspartei als Parteien der „Mitte“. Innen- und Volksbildungsminister war Wilhelm Frick (dessen Biografie „Wilhelm Frick – der Legalist des Unrechtsstaates“ vom Rüsselsheimer „Leuchtenden Vorbild“ Günter Neliba verfasst wurde). Der erfüllte die Erwartungen der Mitte-Parteien indem er kommunistische Lehrer und Bürgermeister entließ und den Erlass „Wider die Negerkultur für deutsches Volkstum“ zwecks Unterbindung der „Verseuchung durch fremdrassige Unkultur“ erließ.

Und auf Reichsebene ebneten die Zentrumspolitiker Brüning und von Papen den Nazis den Weg zur Macht.

Was sagt der Historiker Andreas Wirsching (Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München/Berlin) im Hauptartikel „Schicksalsjahr 1932“ der ZEITGeschichte-Ausgabe? Auch er fügt sich zunächst dem herrschenden Narrativ und erklärt „die Zustimmung zu den Versprechen der extremistischen Parteien NSDAP und KPD“ als „fatal für das Schicksal der Weimarer Republik“ und fasst wie Frank Werner bei den Wahlergebnissen NSDAP und KPD zur „negativen absoluten Reichstagsmehrheit der verfassungsfeindlichen Parteien“ zusammen.
Allerdings geht Wirsching auch mehr in Details. Und dadurch kann frau/man erfahren, dass große Teile der Wirtschaft den Weimarer Staat schon lange als „Gewerkschaftsstaat diskreditierten und bekämpften“ und gemeinsam mit den ostelbischen Großgrundbesitzern nach Lösungen jenseits der Demokratie (also verfassungsfeindlich) suchten, wobei die Nazis als denkbare Alternative galten. Dass die auch durch Teile des Großkapitals finanziert wurden und Hitlers Kanzlerschaft in entsprechenden Eingaben an Hindenburg gefordert wurde, kommt bei Wirsching allerdings nicht vor. Hier ( http://www.liste-solidaritaet.de/seiten/medienreflexe/2015_06_medienreflex.html ) eine kurze Darstellung mit einigen Beispielen von 1919 bis 1933.

Auch der Preußenschlag 1932, also die „staatsstreichartige Absetzung der in Preußen regierenden Weimarer Koalition“ durch die Reichsregierung unter Kanzler von Papen im Bund mit Reichspräsident Hindenburg, durch den „die Reichsregierung die Zerstörung des Weimarer Verfassungsgefüges weiter voran trieb“ wird von Wirsching erwähnt. Ohne allerdings darauf hinzuweisen, dass solche gewaltsamen Reichsexekutionen schon 1923 durch Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) gegen die  demokratisch gewählten Linksregierungen unter Einschluss der Kommunisten in Sachsen und Thüringen durchgeführt wurden.
Und dass, wie Wirsching schreibt „nicht geringe Teile der bürgerlichen Mittelschichten dazu tendierten, (verfassungsfeindliche) Gewalt zumindest dann politisch zu prämieren, wenn sie gegen den ‚richtigen‘ Gegner, das heißt gegen links, ausgeübt wurde“ bestätigt noch einmal die unmittelbare Nähe von Denken und Handeln der sich als Mitte definierenden mit der extremen Rechten.
Zur Gewalt als konstituierendes Merkmal der Weimarer Republik von Anfang an siehe das Buch  „Am Anfang war Gewalt von Mark Jones. Ausschnitte hier: https://www.google.de/books/edition/ Am_Anfang_war_ Gewalt/ A0KPDQAAQBAJ? hl=de&gbpv= 1&printsec=frontcover

2. Corona-Querfront?

In Main-Spitze und Rüsselsheimer Echo vom 21. September wird Herfried Münkler („… gehört zu den bekanntesten deutschen Politikwissenschaftlern“) zu „Ukraine-Politik, Millionen in Existenznot, Heißer Herbst“ befragt.

Und vollautomatisch geht ihm die Aussage von den Lippen: „Dann hat sich in der Corona-Zeit etwas entwickelt, was man in der Weimarer Republik als Querfront kannte: Rechte und Linke blasen gemeinsam zum Angriff auf die liberale, rechtsstaatliche Mitte“.

Wer mit wem gemeinsam geblasen hat siehe oben. Und die von General Kurt von Schleicher (Dezember 1932/Januar 1933 letzter Reichskanzler vor Hitler) angestrebte Querfront ging von Teilen der Nazipartei bis zu rechten Gewerkschaftern und Sozialdemokraten. Kommunisten und andere Linke waren für diese Front der bis aufs Messer zu bekämpfende Feind.

Abgesehen davon, dass es beim Umgang mit der Corona-Pandemie keinen gemeinsamen Angriff von Rechten und Linken gab.

Warum („Zu welchem Ende“) wird das Hufeisen gebogen?

Warum betätigen sich die Herren Professoren – gegen eigene Kenntnisse - als Hufeisenbieger? Offenbar sollen heutige politische Proteste und Stellungnahmen gegen die Aufrüstungs- und Verarmungspolitik der „Mitte“ als Querfront mit Rechten/AfD diskreditiert werden. So absurd das angesichts der grundlegenden Positionen der AfD zu Militarisierung, NATO, Marktliberalismus auch ist.

 

 

   
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